Wie alles begann

Die Fighter und die Schule

 

Im Jahre 1999 war ich mit einem Freund in einer Modellbauausstellung in Sinsheim. Dort fand ich die Firma Tamiya mit einer Rennbahn, auf der die Fighter herumsausten. Das faszinierte mich. Ich versuchte auch mal, mit dem Auto zu fahren, jagte das Auto aber immer wieder in die Zuschauer. 

 

Ich konnte es nicht!

 

Interessant fand ich, dass es sich eigentlich um einen Bausatz handelte, der unglaublich leistungsfähig war. Nun kam bei mir der Lehrer durch. Seit 25 Jahren hatte ich versucht, Technik in die Schule einzuführen. Wir brauchen Ingenieure, haben aber an den allgemeinbildenden Schulen, besonders an den Gymnasien kein Fach, das da hin führt. Kann es nicht für Schülerinnen und Schüler ungeheuer interessant sein, ein Auto zu bauen? Was bedeutet es, wenn sie lernen, wie ein Auto funktioniert? Was heißt es, wenn jemand das Fahren im kleinen Maßstab lernen kann. Diese und eine ganze Menge anderer Fragen drängten sich auf.

 

So blieb eineSchluss: Das musste ich ausprobieren!

 

Gemeinsam mit Jochen Ortwein, einem Schülervater, kaufte ich zwei Modellbaukästen, und wir bauten. Nach einem schweißtreibenden Samstag fuhren die beiden Wagen. Es war geradezu eine Lust, zu sehen, was der Haufen aus Schrauben und Plastikteilen, Drähten und Motoren leistete, und das alles hatten wir selbst auf die Räder gestellt. Wir hatten Stoßdämpfer und Federbeine, ein Differentialgetriebe gebaut, elektronische Bauteile, Widerstände und jede Menge Kabel verbaut und letztendlich zum ersten Male eine richtige Fernbedienung in Betrieb genommen. Ich verspürte so etwas wie Stolz.

 

Jetzt hatte ich ein richtig funktionierendes Rennauto. Wie kann man nun ein Lernprojekt daraus machen? Kann man in der Schule ein derartiges Projekt anbieten, das immerhin etwa 250.-DM kostete? Wie kann man sicherstellen, dass alles nachher auch funktioniert? Wie können Schülerinnen die Geduld und Ausdauer entwickeln?

 

Erziehung bedeutet ja im Idealfall, dass sich Schule, Eltern und Schüler gemeinsam treffen, um mit Lust und Freude gemeinsam etwas zu tun, aus dem man lernen kann. Dann sehen Eltern ihre Kinder einmal in einer anderen Umgebung und in einer anderen sozialen Rolle. Sie sehen plötzlich eine völlig andere Facette ihres Kindes. Die Kinder haben durch die Zusammenarbeit mit den Eltern auch oft eine neue Perspektive ihrer Eltern, erleben, dass die nicht alles beherrschen und sich auch anstrengen müssen, um erfolgreich zu bauen.

 

Der Lehrer ist plötzlich auch in einer anderen Rolle. Er bewertet und doziert nicht. Er gibt Ratschläge und hilft. Er kontrolliert nicht mehr. Die Kontrolle der Arbeit liegt nicht mehr beim Lehrer, sondern im Werkstück. Das funktioniert nur, wenn man sich an die Bauvorschrift gehalten hat. Da gibt es keine Ausreden. Erfolg hat nur der, der gründlich, sauber und gewissenhaft arbeitet. Das spätere Berufsleben lässt grüßen! Ist es nicht die eigentliche Aufgabe der Schule, auf das Leben vorzubereiten? Wenn das auch noch mit Freude, ohne Notendruck und mit entsprechender Bestätigung in abschätzbarer Zeit geschieht, so finde ich das ideal. Wettbewerb ist der Motor unserer Gesellschaft. Daran muss man Kinder gewöhnen.

Damit war eigentlich das Ziel umrissen!

 

Die Umsetzung war der nächste Schritt. Da musste zunächst die Schulleitung gewonnen werden. In den normalen Stundenplan konnte das auch nicht eingeplant werden. Es gab eine Reihe von Gesprächen, in denen auch das gewichtige Argument: “Das hatten wir ja noch nie!“ zu entkräften war. Da musste die Ehefrau gewonnen werden, die an den entsprechenden Samstagen auf den Ehemann verzichten musste. Der Samstag war nämlich der Tag, an dem auch die Eltern verfügbar waren. Und da mussten schließlich die ersten Eltern gewonnen werden, gemeinsam mit den Kindern samstags in die Schule zu kommen.Man schenkte seinem Kind nicht mal 250.-DM, sondern man schenkte ihm zusätzlich die Mama oder den Papa, die den Tag ausschließlich ihrem Kind widmeten. Da steht das Besorgen des Materials und die Raumbelegung und die sonstige Vorbereitung schon ganz im Hintergrund.

An einem Samstag um 9.00 Uhr trafen wir uns im Werkraum und legten los. Die Schrauben waren so klein und rollten vom Tisch. Die Teile waren so verwirrend. das sture Einhalten des Bauplans war so ungewohnt. Man rechnet in der Industrie übrigens mit etwa 50% der Baukästen, die nie fertig werden! Das durfte nicht passieren! Und das passierte auch nicht. Gegen 14.00 Uhr war der erste Wagen fahrbereit. Jetzt kam die Belohnung. Das Auto fegte in einem Affentempo quer über den Platz, die Eltern rügten angstvoll die enorme Geschwindigkeit, und die Autos knallten bald irgendwo gegen einen Baum. Es war ja noch keinerlei Erfahrung vorhanden. Die Eltern staunten darüber, dass die Fahrzeuge nicht kaputt waren, Die Dinger hielten unglaublich viel aus. Elternteil und Kind waren aber unsagbar stolz, sie hatten häufig zum ersten Male gemeinsam etwas gebaut, was wirklich funktionierte. Und es machte ungeheuren Spaß. Wenn ein Vater etwa zu sehr schimpfte, weil der Sohn zu wild fuhr, empfahl ich, dem Vater mal die Fernsteuerung zu geben. Nun passierte etwas ganz Tolles, Ungewöhnliches: Er konnte es nicht besser als das Kind!!! Hier schlüpfte das Kind plötzlich in eine völlig neue Rolle, es konnte etwas so gut oder besser als der Vater.

 

So ging das zwei Jahre, wir bauten Autos und fuhren sie, reparierten sie und fuhren wieder. Irgendwie war es das aber noch nicht. Dann lernte ich Familie Maurer kennen. das war die Möglichkeit, die nicht zu überbieten war. Mit seiner Firma MZ konnte uns Axel Maurer den nächsten notwendigen Schub geben. Er hatte die Beziehungen zu Tamiya. Er konnte uns über seine Firma mit Bausätzen und Ersatzteilen versorgen und seine Erfahrungen aus dem Modellbau einbringen, was er auch mit Einsatz der gesamten Familie tat. Nun wurden im zweiwöchigen Rhythmus Trainings abgehalten. Die vorher etwas unverbindlichen Wettfahrten wurden regelmäßig. Es entstand eine Rennstrecke auf dem Schulhof. Ohne Rücksicht auf das Wetter wurde nun auf dem Schulhof gefahren, bei Glatteis oder Schnee, Regen oder Sonnenschein.

 

Es stellte sich heraus, dass unsere Schüler enorme Leistungspotentiale entwickeln konnten. Die Mannschaft der ASS ist mittlerweile eine feste Größe in der Fighterszene in Deutschland. Bei den Meisterschaften belegen unsere Fahrerinnen und Fahrer immer wieder die ersten Plätze und gewinnen die Meisterschaft. Einige fahren sogar sehr erfolgreich im Europacup!

 

In keinem Falle darf man hier aber eines der Hauptereignisse des Schuljahres vergessen: Jedes Jahr fährt eine Gruppe von zeitweise 100 Leuten nach Sonneberg zur Trainingswoche. Das muss man mal erlebt haben! Im Jahre 2011 hat die Rennmannschaft zwei Weltrekorde aufgestellt: Die längste Strecke mit einem Akku und die weiteste Fahrt mit dem Fighter auf der Straße. 211 Kilometer fuhr eine Gruppe von der Schule in Nieder-Erlenbach zur Rennstrecke von Tamiya in Sonneberg. Davon wurde sogar im Fernsehen berichtet.

 

Mittlerweile bin ich aus dem gesamten Fahrbetrieb ausgeschieden. Ich bin pensioniert und tauche nur noch als Gast auf, und jedes Mal lacht mir das Herz im Leibe, wenn ich sehe, wie diese AG weiter besteht, wie sie erfolgreich weiter arbeitet.

 

Immer wieder bilden sich neue Führungspersonen heraus, die selbstlos ihre Zeit und Fähigkeiten in den Dienst der Sache stellen, die das Werk weiter tragen.

 

Sie, liebe Eltern sind die, die das leisten, die im positivsten Sinne Bildungs - und Erziehungsarbeit nicht nur für das eigene Kind leisten.

Dafür kann ich mich bei Ihnen nur herzlichst bedanken. Sie helfen mir, einen pädagogischen Traum meines Lebens zu erfüllen. Sie machen mich dadurch glücklich, und Ihre Kinder auch!

 

Tausend Dank!

 

 

Klaus Weißbecker